Welcome to Schwabylon
Year: 2011
Our role: A–Z
Die kleine Wortkunde Schwabylon
Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde, und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.
Genesis 11, 1–9
Sie kleben an Berliner U-Bahnhöfen, Briefkästen, in Hausfluren und an Rucksäcken – schwarze Schrift auf gelbem Bande: “Welcome to Schwabylon”. Der Schwabe also wieder, Avatar der Gentrifizierung und mithin in gewissen Berliner Kreisen das Sinnbild des Bösen, ein achtarmiger Dämon, angetan mit den Insignien Zeigefinger, Tannenzäpfle, Kinderwagen, Lärmschutzverordnung, gewachsenen Eliten, zwanghafter Gutlaune, Bürgersinn und Sehnsucht nach Ordnung. Der Schwabe ist dabei je nach Lage aber viele – er ist Schwabe, Pfälzer, spanischer Student und englischer Sauftourist.
Dem Christentum galt Babel, gerne auch “Hure Babylon”, schon lange als Vokabel des Bösen. In dieser Stadt wollten die Menschen dem Himmel nahe sein, allerdings, und das war der Frevel, ohne Gott, und Ähnlichkeiten mit Berlin sind hier sicher rein zufällig. Der HERR zertrümmerte daraufhin die gemeinsame Sprache der Menschen in kleine Stückchen, die sich nicht mehr kleben ließen. Die Strafe hieß Vielfalt.
In “Schwabylon” hallt diese Ahnung vom Bösen noch wider – nur hat sich sein Wesen ins Gegenteil verkehrt. “Schwabylon” fürchtet man nicht, weil es Berlin noch bunter machen könnte, sondern weil seine Abgesandten die Stadt mit dem gerne als “Bionade-Biedermeier” geschmähten Lifestyle, ihrem Putzwahn, ihren teuren Mieten zu überziehen drohen wie ein Pilz, unter dem alles andere erstickt wird. Babylon ist der Code für die Angst vor zu vielen Möglichkeiten, Schwabylon heißt die Furcht vor der Alternativlosigkeit.
Eines ist aber beiden gemeinsam – sie sind Chiffres für das Trennende in dieser Stadt.
Zeitweise ging gar das Gerücht, touristengenervte Einheimische klebten die Laternenpfähle der Stadt mit “Berlin does not love you”-Stickern voll, man sah sie tatsächlich ein, zwei Mal, aber die Popularität von “Schwabylon” erreichten sie nie. Das Böse ist noch nicht so stark, dass es die Berliner, die schon da sind, all jene hassen lässt, die neu kommen. Aber wenn mal wieder an Babel gebaut wird, dann wollen sie dabei sein oder zumindest – wir sind hier schließlich in Berlin – ungestört zugucken und meckern dürfen.
DANIEL SCHULZ
—taz.DieTageszeitung am 20.09.2011